"Schließen Sie den Kauf sofort ab, das Gelände scheint entsprechend zu sein." Mit dieser knappen, telegrafisch übermittelten Order an seinen Hofsekretär Lorenz Düfflipp besiegelte König Ludwig II. im September 1873 den Kauf der Insel Herrenwörth im Chiemsee. Hier sollte nun das bereits seit 1868 – ursprünglich für Linderhof bei Ettal – geplante, im Bauprogramm des Königs wohl wichtigste Projekt entstehen: der Nachbau der Schloss- und Gartenanlage von Versailles, einstige Residenz des Sonnenkönigs Ludwig XIV. von Frankreich, dessen glanz- und machtvoller Hof eine besondere Faszination auf Ludwig II. ausgeübt hatte. Die Insellage Herrenwörths garantierte die gewünschte Abgeschiedenheit, die der König bewußt suchte, um sich, abgeschottet von den Widrigkeiten des Alltagslebens, in seine gebaute Traumwelt zurückziehen zu können. Zum gleichen Zweck hatte sich Ludwig II. zuvor schon die Schlösser Neuschwanstein und Linderhof erbauen lassen.
Carl von Effner, Portraitfoto, um 1880
Foto: Bayerische Schlösserverwaltung
Hofgärtendirektor Carl von Effner (1831-1884, geadelt 1877), Sproß einer altgedienten Hofgärtnerfamilie, eignete sich wie kaum ein anderer Gartenkünstler für die Planung und Ausführung der von Ludwig II. gewünschten dekorativen Gartenanlagen. Effner hatte als Schüler des berühmten preussischen Gartenkünstlers Peter Joseph Lenné die Gestaltung regelmäßiger Ziergartenbereiche, wie sie ab etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wieder in Mode gekommen waren, an der Quelle dieser neuen Entwicklung studieren können. Es war dem Hofgärtendirektor ebensowenig wie seinem Dienstherrn gegönnt, die Vollendung der Gartenanlagen Herrenchiemsees zu erleben. Am 22. Dezember 1884 starb Carl von Effner im Alter von nur 53 Jahren an den Folgen einer chronischen Erkrankung.
Bevor am 21. Mai 1878 der Grundstein zum Schlossbau gelegt und die Ausführung der Außenanlagen begonnen werden konnten, bedurfte es umfangreicher Vorarbeiten. Für den von Carl von Effner 1875 geplanten, etwa 81 ha umfassenden Garten (bei einer Inselgröße von ca. 230 ha) waren ausgedehnte ebene und freie Flächen nötig, deren Herstellung das Abholzen großer Waldpartien, das Abtragen von Hügeln und das Auffüllen von Mulden des eiszeitlich sehr wellig geformten Inselgeländes erforderte.
Zur Abwicklung des Baubetriebes gründete sich eine Bauhüttensiedlung mit Arbeiterwohnbaracken, einer Kantine mit eigener Metzgerei, einer Schmiede, einer Wagnerei, einer Steinmetzwerkstatt sowie einer Dampfsäge zum Zuschneiden des Bauholzes.
Schloss Herrenchiemsee während der Bauphase.
In der
Bildmitte rechts ist die Dampfeisenbahn
zum Transport
von Baumaterial zu erkennen.
Nach einer Zeichnung von J. Wopfner, 1880
Foto: Hannes Heindl, Freising
Über ein eigens angelegtes Schienennetz beschleunigte man mittels einer Dampfeisenbahn den Transport der großen Mengen an Baumaterial von den beiden Schiffsanlegestellen zum Bauplatz (allein im Jahre 1879 sind laut den Rechnungsbüchern der königlichen Kabinettskasse beispielsweise 1.208.564 Stück Ziegelsteine auf die Insel geschifft worden).
Ludwig II. strebte von vornherein keine detailgetreue Kopie der Versailler Anlage an. Die Planung beschränkte sich schon allein aus Platzmangel hauptsächlich auf jene Gartenbereiche, die von den Haupträumen des Schlossmitteltraktes aus – dem Paradeschlafzimmer und der Spiegelgalerie – zu sehen waren. Blickte der König von hier aus Richtung Westen, fügten sich die beiden Wasserbecken, der Latonabrunnen, die beiden Blumenparterres, der Apollobrunnen sowie der Kanal als spiegelnder Hintergrund zu einem festlich-dekorativen Bild zusammen.
Richtung Osten sollte der Blick – gerahmt von zwei hufeisenförmigen Stallgebäuden – in die Tiefe der auf eine Länge von über 900 m projektierten alleegesäumten Auffahrt gehen, die von einer Schiffsanlegestelle am Ostufer der Herreninsel zum Schloss führte. Die nur wenige Grade von der exakten Ost- West-Ausrichtung abweichende Mittelachse der Anlage hatte über die Bildwirkung hinaus noch eine weitere Bedeutung: Sie markiert symbolisch die Sonnenbahn, in deren Mitte das Schloss mit dem königlichen Schlafzimmer als Zielpunkt steht.
Blick nach Westen in die Gartenmittelachse,
historische Fotoaufnahme, 1886
Foto: Bayerische Staatsbibliothek
Auffällig ist noch, dass die in Versailles kilometerweit in die Umgebung ausgreifenden Sichtachsen in Herrenchiemsee nach kurzem Verlauf an hohen Heckenwänden endeten. So entstanden auch im Garten dekorative, nach aussen hin geschlossene Räume, die als Abschirmung des Schlosses zur umliegenden Landschaft dienten. Ludwig II. wünschte ausdrücklich keine Ausblicke auf den See oder in die ländlich-bäuerlichen Fluren des Chiemgaus.
Entsprechend ihrer Lage vor den Haupträumen des Schlosses konzentrierten sich die Ausführungsarbeiten – abweichend vom Baubetriebsplan – auf die in der Mittelachse gelegenen Gartenbereiche, die bis zum Tode Ludwigs II. im Juni 1886 daher weitgehend fertiggestellt werden konnten. Das Planieren des Gartenareals, das immense Erdmassenbewegungen erforderte, dauerte 1881 noch an. Erst im Jahre 1882 konnte ein "Parterregärtner" aus dem Hofgarten Schleißheim die Blumenbeete anlegen. 1884 war mit dem Durchstich in den Chiemsee der Kanal vollendet worden. Da Ludwig II. immer wieder auf eine schnellstmögliche Fertigstellung einzelner Gewerke drängte, wurde vieles zunächst nur improvisiert: Treppenstufen fertigte man aus Holz statt aus Stein, Beckeneinfassungen aus Zement statt aus Marmor. Anstelle der Bleiguss-Brunnenfiguren stellte man vereinzelt ihre vergoldeten Gipsmodelle auf. Das große Pferdemodell der Famagruppe ist daher beim Heben auf den Felsensockel mehrmals in Stücke gebrochen. Der östliche Mittelteil der Gartenanlage – die auch als "Avenue" bezeichnete große Auffahrt – kam im Juni 1885 mit der Herstellung der Kiesdecke und der Pflanzung der Alleebäume zu einem vorläufigen Abschluss.
Plan zur vereinfachten Fertigstellung der Gartenanlage
von Hofgärtendirektor Jakob Möhl, 1888
Foto: Bayerische Schlösserverwaltung
Trotz der mit Hochdruck betriebenen Bauarbeiten war bis zum Tod des Königs im Juni 1886 nur etwa ein Drittel der geplanten Gartenanlage ausgeführt. Eine vereinfachte Fertigstellung des Schlossparkes erfolgte 1888 nach einem Plan Jakob Möhls, der 1884 die Leitung der Gartenarbeiten in Herrenchiemsee von Carl von Effner übernommen hatte. Er ließ die ausgeführten Gartenbereiche mit einer doppelten Lindenreihe einfassen und die noch im Rohzustand befindlichen Flächen wieder aufforsten. Mit diesen einfachen Maßnahmen gelang Jakob Möhl ein befriedigender räumlicher und gestalterischer Abschluss der Gesamtanlage.
Zeitweise hatte Ludwig II. mit der Überlegung gespielt, sich auf einer fernen Insel ein neues Königreich einzurichten. Auf der etwa 230 ha großen Herreninsel scheint der König diese Idee im Kleinen aufgegriffen zu haben. So beauftragt er seine Architekten und Techniker mit der Herstellung verschiedener Wege, darunter ein Kutschenfahrweg, der nahe dem Ufer fast um die ganze Insel führt, sowie mit der Planung einer Eisenbahnlinie, die in einer weiten Schleife um das neue Schloss verlaufen sollte. Die Eisenbahn konnte nicht verwirklicht werden. Auf den übrigen Wegen kann der Besucher jedoch die Insel um- oder durchwandern, vorbei an Obstwiesen, Äckern, Viehkoppeln oder durch dichte Waldbestände. Einen besonderen Genuss bieten die herrlichen Aussichten auf die Bergkette der Alpen im Süden der Insel und natürlich die Blicke auf das Königsschloss vom Ende der Avenue bzw. vom Apollobrunnen aus.
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